„Musik ist die herrschende Liebhaberey der Mainzer“
Eine Stadt, in der im Jahr über 400 Klassikkonzerte und noch viel mehr Pop- und Jazzkonzerte stattfinden, muss ein guter Platz für einen Musikverlag sein. Tatsächlich: Mit Schott Musik International hat seit 1770 einer der weltweit größten Musikverlage seinen Sitz in Mainz.
Lenkt der Besucher der Mainzer Altstadt seine Schritte von der Augustinerstraße aus durch den Kirschgarten Richtung Südwesten, steht er, einen schmalen Hausbogen durchschreitend, unversehens vor dem zartgelben Patrizierhaus Weihergarten 5, seit 1792 Stammhaus des Verlages Schott. Weit ist die schwere Holztür des Verlagshauses geöffnet und gibt den Blick auf den idyllischen Innenhof mit seinen Springbrunnen und den aus aller Herren Länder mitgebrachten Sträuchern und Bäumen frei.
Hundertzwanzig Fachleute arbeiten hier an den Notenausgaben, Büchern, Zeitschriften und CDs, die anschließend von weiteren sechzig Mitarbeitern vom Außenlager Mainz-Hechtsheim aus in alle Kontinente verschickt werden. Kinder in der ganzen Welt machen die ersten musikalischen Gehversuche mit Noten aus Mainz, Laien und Profis finden bei Schott Noten in höchster Qualität für Beruf oder Hobby. Die wichtigsten zeitgenössischen Komponisten vertrauen dem Verlag jene Werke an, die auf den Konzert- und Opernbühnen der Welt aufgeführt werden. Zum Unternehmen gehören zwei eigene Tonträgerlabels sowie acht Fachzeitschriften, eine eigene Druckerei und ein modernes Vertriebszentrum, von dem aus neben den eigenen Produkten Titel von über sechzig Fremdverlagen verpackt und versandt werden. Insgesamt betreuen heute 250 Mitarbeiter in den Schott-Filialen von Miami über Mainz bis Tokio Produkte rund um die Musik.
Seit 1770 schreibt das Unternehmen in Familienbesitz eine Erfolgsgeschichte in Noten, in der die Stadt Mainz eine wichtige Rolle spielt. Denn ohne das reiche Musikleben in der kurfürstlichen Residenz wäre der rasche Aufstieg des Verlages im ausgehenden 18. Jahrhundert undenkbar gewesen. Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal, der 1774 die Regierung übernahm, liebte wie sein Vorgänger die Künste. Er organisierte die Hofmusik neu, holte hervorragende Musiker an sein Fürstenhaus und ließ jährlich rund 120 öffentliche „Akademien“, so nannte man die Konzerte der Hofkapelle und reisender Musiker, veranstalten. An Publikum mangelte es nicht, denn in Mainz lebten zahlreiche musikliebende Adlige. Viele von ihnen waren nicht nur eifrige Konzertbesucher, sondern musizierten selbst und führten sogar Opern auf.
Für sie alle brauchte es: Noten! Diesen Bedarf machte sich der junge Musiker und Kupferstecher Bernhard Schott aus Eltville zu Nutze, der zeitweise selbst als Klarinettist in der Hofkapelle spielte. Die Kunst des Notenstichs hatte er nicht nur in Deutschland, sondern auch auf Studienreisen im Ausland sorgfältig studiert. Mit Erfolg: Im Jahr 1780 wurde Bernhard Schott vom Kurfürsten zum „Hofmusikstecher“ ernannt und sein junges Unternehmen mit dem „Privilegium exclusivum“ ausgestattet. Nun durfte er als einziger Kupferstecher im Mainzer Kurstaat Noten herstellen. Als Gegenleistung erhielt er die Auflage, von jedem Werk aus seiner Stecherei ein Exemplar kostenlos an den Kurfürsten zu liefern.
Bernhard Schotts Geschäft, in dem neben Noten auch Schreibwaren und Instrumente zu kaufen waren, lief blendend an. Schott besaß, was man heute ein „feeling“ für den Markt nennen würde: Er druckte, was Musiker spielen wollten, was also „populär“ war. Und das waren in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts vor allem Klavierauszüge und Bearbeitungen beliebter Opern und Ballette sowie Sammelbände mit Instrumental- und Gesangsstücken, die für das Musizieren im privaten Kreis geeignet waren. Werke von Haydn, Mozart (darunter die Erstausgaben seiner Opern Don Giovanni und Die Entführung aus dem Serail), Clementi und Pleyel prägen den Katalog der ersten Jahre. Nach der Gründung des Nationaltheaters verlangten die Käufer speziell nach leicht spielbaren Klavierauszügen jener Opern, die gerade am Mainzer Theater gespielt wurden.
Betrachtet man die erhaltenen frühen Publikationen, so zeigt sich, dass der junge Kupferstecher bereits den Grundstein für die noch heute gültige Philosophie des Hauses Schott legte: Von Anfang an hatte er den Ehrgeiz, akkuratere und schönere Notenausgaben herzustellen als seine Konkurrenten in anderen Ländern. So verbreitete sich der Ruf des Verlages rasch weit über die Grenzen des Kurstaates hinaus, und bald ließen auch andere Verleger ihre Werke bei dem begabten Meister stechen. Dieses handwerkliche Können, das einzigartige Stichbild der Noten aus dem Hause Schott ist Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in die Entwicklung der modernen, digitalen Notenherstellung eingeflossen. Und auch die unverwechselbare Form der einzelnen Note blieb erhalten, obgleich längst nicht mehr mit Zinn- oder Kupferplatte und Stempel gearbeitet wird.
Komponisten und Musiker wissen und wussten dies zu schätzen. So gab Beethoven Schott seine Spätwerke in Verlag, darunter die Neunte Sinfonie und die Missa Solemnis. Die um die Wende zum 19. Jahrhundert überaus modernen französischen Komponisten Adolph Adam und Eugene Aubér veröffentlichten ihre Musik ebenso bei Schott wie Franz Liszt und der Mainzer Peter Cornelius. Bald konnten die Nachkommen von Bernhard Schott ihr Unternehmen jenseits der Grenzen des Landes etablieren: 1824 wurde die Niederlassung in Antwerpen eröffnet, die 1834 nach Brüssel umzog, Paris eröffnete 1826, die in London folgte 1835, Leipzig im Jahr 1840. Franz Schott, einem Enkel des Verlagsgründers, gelang 1859 ein wichtiger Coup: Er konnte Richard Wagner für die Zusammenarbeit mit dem Mainzer Verlagshaus gewinnen, so dass Schott (nach Zahlung bis dato unvorstellbarer, gigantischer Vorschüsse) die Tetralogie Der Ring des Nibelungen, außerdem Die Meistersinger von Nürnberg und Parsifal veröffentlichen konnte. Noch heute versammeln sich die Mitarbeiter und Freunde des Hauses bei besonderen Anlässen in jenem fast unverändert erhaltenen kleinen Saal, in dem Wagner vor hunderteinundvierzig Jahren seinem begeisterten Verleger das Textbuch zu den Meistersingern vorlas.
Im Nachhinein erwies es sich als Glücksfall für die weitere Entwicklung des Verlages, dass im Jahr 1874 die Familie Strecker als Nachfolger für die letzten Schott-Erben eintrat. Die neuen Inhaber hatten nicht nur ein untrügliches Gespür für musikalische Qualität, sondern waren auch echte Genies der Freundschaft und banden so Komponisten wie Igor Stravinsky, Carl Orff und Paul Hindemith an den Verlag. Regelmäßig verkehrten weltberühmte Komponisten und Musiker im Mainzer Weihergarten, so wie später, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, György Ligeti, Jean Francaix, Krysztof Penderecki und Hans Werner Henze. Bis heute besuchen Autoren und Komponisten regelmäßig ihren Mainzer Verleger Peter Hanser-Strecker und jene Fachleute, die an der Redaktion und der Herstellung von Noten oder Büchern arbeiten. Sie alle vertrauen darauf, dass ihr künstlerisches Werk in höchster Qualität von Mainz aus Verbreitung in der internationalen Musikwelt findet.
Übrigens trägt zu dem eingangs erwähnten, reichen Angebot klassischer Konzerte in Mainz auch der Schott-Verlag ein wenig bei: Im Innenhof des Hauses Weihergarten 5 finden ein paar Mal im Jahr bis zu 400 Gäste Platz bei den abendlichen Weihergarten Serenaden. Man muss einmal unter der Blütenpracht der japanischen Kirsche der Musik gelauscht haben, dazu ein Glas Wein getrunken und in den Mainzer Himmel geschaut haben, um zu wissen, dass Mainz ein wunderbarer Ort für einen Musikverlag ist.
© Christiane Krautscheid