Das Orakel der Schafsgalle
Jeffrey Steingartens kulinarische Enthüllungen
Als der studierte Jurist und Gourmet Jeffrey Steingarten im Jahr 1989 daran ging, sein täglich Brot mit Essen zu verdienen, genauer gesagt, mit Restaurantkritiken für die amerikanische „Vogue“, nahm er sich vor, in Zukunft buchstäblich alles zu essen. Und natürlich darüber zu berichten!
Auf seinen kulinarischen Abenteuerreisen lernte er, die Furcht vor karamellisierten Heuschrecken ebenso zu verlieren wie seinen Hass auf die griechische Küche. Überall besuchte er einheimische Meisterköche und einfache Gastwirte, um von ihnen traditionelle Zubereitungsarten und Geheimtipps über die besten Lokale und Märkte zu erfahren. Fortan erzählte Steingarten sinnliche und komische Geschichten von seinen Reisen rund um den Erdball, den er nach dem perfekten Sauerkraut, den besten Pommes Frites und den köstlichsten Meerestieren absuchte.
Unterwegs erfuhr er, dass man am Geschmack eines Fisches die Art und Weise erkennt, wie derselbe ums Leben kam. Und was die Gallenblase eines Schafes über die Zukunft des Besitzers weissagt. Und warum die Mutter aller Eiscremes aus Sizilien stammt.
Seine Kolumnen, die er in „Der Mann, der alles isst“ versammelt hat, vereinen neben kulturhistorischem Wissen und warenkundlichen Fakten auch Rezepte für den ambitionierten Hobbykoch, dem wie Steingarten keine Garzeit zu lang ist (etwa 11,5 Stunden für ein Coq au vin) und kein Tipp zu abstrus (zum Beispiel der, dass Pommes am besten in Pferdefett frittiert werden sollten).
Ein ganzes Kapitel widmet Steingarten einem Thema, das derzeit auch deutsche Gastrokritiker zu hitzigen Debatten treibt: Die Karriere von Kobefleisch, auf japanisch: Wagyu. Falls Sie in nächster Zeit einmal die Feinkostabteilung des KaDeWe betreten, statten Sie bitte der Fleischtheke einen Besuch ab. Dort kann man seit einiger Zeit das legendäre japanische Rindfleisch in der Kühltheke bewundern, schlappe Euro 199 das Kilo. Das Steak der handmassierten und mit sakegetränktem Getreide gefütterten schwarzen Rinder soll zarter und aromatischer sein als jedes Fleisch, das den Gaumen je berührt hat.
Tatsächlich treibt das tiefrote, wie feinster italienscher Marmor von hauchdünnen weißen Streifen durchzogene und von einem zarten Netz von Fett umgebene Stück dem passionierten Hobbykoch hektische rote Flecken aufs Gesicht. Wie um Himmelswillen brät man ein Steak, das den Gegenwert von zwei Tankfüllungen besitzt? Jeffrey Steingarten hat sich diesem Stress ausgesetzt – und ein Waterloo am heimischen Herd erlebt. Nach dieser Schlappe widmete er die nächste kulinarische Reise Japan und der Entdeckung der richtigen Zubereitung von Wagyu. Wie seine Erkenntnisse in die alltägliche Zubereitung von handelsüblichem Entrecôte eingingen: das liest man am besten selbst in Steingartens wunderbarem Buch nach.
© 2005 Christiane Krautscheid (Erstabdruck Gate – Das Airport Magazin 38, Frühjahr 2005)
Jeffrey Steingarten: Der Mann, der alles isst. Zweitausendeins, Hamburg 2004.