Dichtung und Wahrheit
Richard Strauss: Ein Heldenleben op. 40
Mit Goethe und Thomas Mann verband Richard Strauss das Bewußtsein, beispielhafte Werke seiner Zeit zu schaffen. Schon der junge Strauss zeigte sich gewiß, mit seinen Kompositionen die künstlerische „Moderne“ zu repräsentieren, ja sogar ein ästhetisches Bild seiner Epoche zu entwerfen. Wie Goethe und Mann neigte er dazu, das eigene Leben zum Kunstwerk zu stilisieren. Seine Existenz richtete er wie diese sorgfältig bürgerlich-saturiert ein, ganz im Gegensatz zu Mahler, Debussy und den „nervösen“ jungen Komponisten seiner Generation: „Ich schreibe an einem Arbeitstisch, der genau so aussieht wie andere Tische, entweder im Hausrock oder auch im englischen Chevioanzug. Ich bin niemals fiebrig erregt und trage mein Haar kurz geschoren.“
Der Erfolg, den die disziplinierte Arbeit des Komponisten hervorbrachte, war enorm. Bereits als junger Mann verfügte Strauss über konkurrenzloses Ansehen, mit dreiundzwanzig Jahren hatte er ein eigenes Werk (Aus Italien op.16) am Pult der Berliner Philharmoniker dirigiert, mit zweiunddreißig war er Hofkapellmeister in München geworden. Im Jahr 1898 trat Strauss mit vierunddreißig Jahren die Nachfolge von Felix Weingartner als Erster Preußischer Hofkapellmeister an der Hofoper Unter den Linden Berlin an. Der äußerst komfortable Vertrag sicherte ihm ein Jahresgehalt von zwanzigtausend Mark und drei Monate Urlaub zu, Bedingungen, unter denen die wenigsten Kapellmeister in Europa arbeiten konnten.
Die stolze Selbstsicherheit als Künstler, das ausgeprägte Bewußtsein der eigenen Bedeutung hatten dazu beigetragen, daß Strauss seine Person, sein Leben und Erleben zum erklärten Sujet mehrerer Kompositionen machte. Nicht künstlerische Reflexion, sondern das immense Bedürfnis nach Selbstdarstellung scheint Werke wie die Tondichtungen „Ein Heldenleben“ op. 40 und „Sinfonia domestica“ op. 53 motiviert zu haben. Bei den Zeitgenossen und der Nachwelt sind sie auf Kritik gestoßen: Wilheminische Denkmalssucht und kraftstrotzende Egozentrik warf man ihm vor. Die Vorbehalte gegen das autobiographische Programm des „Heldenlebens“ zogen dessen ästhetische Verurteilung nach sich. Zwar wiesen seine Apologeten auf Äußerungen des Komponisten hin, in denen Strauss sich gegen den Eindruck verwehrt, der porträtierte Held sei er selbst. Doch das Verhältnis zwischen dem Erlebten, Bekenntnishaften und dem Allgemeinem, Exemplarischen im „Heldenleben“ bleibt auch in den Auskünften des Komponisten unklar. Zwei Tage nach der Berliner Erstaufführung berichtet Strauss am 24.3.1899 dem Vater: „Von der Kritik bis jetzt Lokalanzeiger und Vossische Zeitung gut, die übrigen spuken Gift und Galle, hauptsächlich weil sie aus der Analyse zu ersehen glauben, daß mit den recht häßlich geschilderten ‚Nörglern und Widersachern‘ sie selbst gemeint seien und der Held ich selbst sein soll, was jedoch nur teilweise zutrifft.“
Immerhin teilweise also. Natürlich muß man die Überschriften kennen, die dem „Heldenleben“ erst unmittelbar vor der Uraufführung beigegeben und vom Verleger in die Partitur übernommen wurden; ohne ihre Wegweisung wird man auch im zweiten, dritten und fünften Teil kaum eine unmittelbare Verknüpfung mit Ereignissen und Elementen aus dem Leben des Komponisten heraushören. Strauss selbst hat nie bestritten, seinen Kritikern mit dem zweiten Teil „Des Helden Widersacher“ ein Denkmal gesetzt zu haben. Schon im „Don Quixote“ op. 35 hatte er die Rezensenten als Herde blökender Hammel karrikiert. Nun kommen sie „sehr scharf und spitzig, schnarrend, zischend“ daher, in einem Holzbläsersatz, dem sich die Blechbläser mit (im reinen Tonsatz verbotenen) leeren Quinten anschließen. Der dritte Satz porträtiert, auch dazu hat sich der Komponist bekannt, seine kapriziös-impulsive Ehefrau Pauline de Ahna. Strauss beschreibt sie als „sehr komplex, sehr Frau, etwas pervers, etwas kokett, niemals sich selbst gleich, in jeder Minute verschieden von dem, was sie in der Minute vorher war“. Die Vortragsbezeichnungen für die Solovioline nennen weitere Charakterzüge der „Gefährtin“: „liebenswürdig, lustig, zornig, schnell und keifend, zart und liebevoll“. Und schließlich der fünfte Teil. Unter der Überschrift „Des Helden Friedenswerke“ ruft Strauss eine ganze Reihe seiner eigenen Werke in Erinnerung. Mittels Zitattechnik läßt er Figuren seines Schaffens am Hörer vorbeiziehen, Macbeth und Don Juan, Till Eugenspiegel und Zarathustra, schließlich Don Quixote.
Der Verdacht, mit dem Helden habe Strauss in einer denkmalfreudigen Zeit sich selbst verewigt, lag und liegt nahe. Von besonderem Interesse sind die autobiographischen Mitteilungen allerdings nicht, und daß der heroische Feuerkopf des „Heldenleben“, dessen Kampf in Entsagung und Weltflucht mündet, nicht viel mit der Person Richard Strauss gemein hat, läßt Werk und Schöpfer nicht im besten Licht erscheinen.
Vielleicht kommt man dem Werk näher, wenn man den Begriff des Autobiographischen genauer faßt. Autobiographische Wahrheit ist nicht identisch mit historischer Wahrheit, Goethes Lebenserinnerungen „Dichtung und Wahrheit“ deuten bereits im Titel darauf hin. Autobiographie ist die bewußte Konstruktion eines für die Öffentlichkeit entworfenen Selbstbildes. Allein durch Auswahl bestimmter Themen, Ereignisse, Empfindungen verfälscht sie die Wahrheit; oft beschreibt sie, „wie es hätte sein sollen“, nicht, wie es tatsächlich war. Aus dieser Perspektive verschwindet die Kluft zwischen der historischen Person Strauss und ihrer Darstellung im „Heldenleben“. Nur sehr mittelbar ist der Protagonist mit seinem Schöpfer verwandt: Strauss entwarf ihn als Verkörperung eines idealen Menschen, der „durch Anstrengung und Entsagung die Erhebung der Seele anstrebt“. Er gewinnt den unabwendbaren Kampf mit künstlerischen Widersachern, sein eigentliches Lebensziel aber sind „Friedenswerke“, die er im zurückgezogenen bürgerlichen Idyll schafft. Das klassische Konzept eines ethischen Künstlertums hat Strauss in der eigenen Existenz zu realisieren versucht, es war ihm Leitbild und Utopie. Diese Deutung bestätigt eine Äußerung des Komponisten aus dem Jahr „Ein Heldenleben zeigt uns nicht eine einzelne poetische oder historische Figur, sondern vielmehr ein allgemeineres und freieres Ideal eines großartigen und mannhaften Heroismus – gemeint ist nicht der Heroismus, an den man einen Allerwelts-Maßstab des Heldenmutes anlegen kann, mit materiellen und anderen äußerlichen Belohnungen, sondern derjenige Heroismus, der die inneren Kämpfe des Lebens beschreibt und der durch Anstrengungen und Entsagung die Erhebung der Seele anstrebt.“
© 1999 Christiane Krautscheid / Albiez (Erstabdruck: Programmheft der Berliner Philharmoniker, 11.04.1999)