Mozarts Bassarien

Bestellt, bezahlt und aufgeführt

Mozarts Bravourarien für Bass

Man stelle sich vor: ein Komponist unserer Tage schreibt ein bedeutendes Werk für Gesangssolisten und Orchester. Doch gleich die Berliner Erstaufführung droht zu platzen. Grund: die Sänger sind mit ihren Partien unzufrieden. Viel zu hoch, jammert der Baß, viel zu wenig Koloraturen, findet die Sopranistin, und ein geeigneter Tenor für die schwierige Partie lässt sich erst gar nicht auftreiben. Also beauftragt man den Dirigenten – wohlgemerkt, nicht den Komponisten – die originalen Partien der Sänger kurzerhand zu streichen und neue zu schreiben, ganz nach Wünschen und Können der Sänger, versteht sich.

Heute käme niemand auf die Idee, so zu verfahren. Zu Mozarts Zeit aber war diese Praxis gang und gäbe. Den überwiegende Teil seiner Konzertarien schrieb Mozart bestimmten Sängern „auf Bestellung“ in die mehr oder weniger geläufige Gurgel, oft dienten sie als „Ersatzteile“, die in Opern anderer Komponisten einmontiert wurden. Im 18. Jahrhundert fand es niemand anstößig, auf diese Weise in die Substanz eines fremden Werkes einzugreifen. Dafür sind der damalige Status des Komponisten und die Auffassung vom Werk verantwortlich: Der Typus des emanzipierten Künstlers, der seine Werke unabhängig von äußeren Anforderungen schöpft, existierte noch nicht. Erst Ende des 18. Jahrhunderts kam das Konzept des „Originalgenies“ auf, das in seinen Werken „sich selbst“ ausdrückt. Erst in dieser Zeit entstand die Deutung des Kunstwerks als in sich vollendetes, unantastbares Produkt eines individuellen schöpferischen Willens.

Zu Mozarts Zeit hingegen bestimmten die Rahmenbedingungen der Aufführung maßgeblich die Gestalt des Werkes; gegebenenfalls wurde ein bereits vorliegendes Werk vorhandenen Umständen angepaßt. In aller Regel schrieben Komponisten für konkrete Anlässe, das konnte ein bestimmtes Konzert, der Geburtstag eines Fürsten oder, bei Mozart ist das bei vielen Werken der Fall, die Bewerbung um eine Anstellung sein, für die man Glanzstücke brauchte. Den Löwenanteil seiner Arbeit machten Kompositionsaufträge aus: Mäzene bestellten Stücke für ihre mu-sizierenden Töchter, Fürsten Opern für ihre Hoftheater, Sänger ließen sich Arien schreiben, mit denen sie ihre Virtuosität präsentieren konnten. So entstanden auch die Konzertarien des heutigen Abends.

„Rivolgete al lui lo sguardo“ KV 584 plante Mozart als Paradestück für den italienischen Baßbariton Francesco Benucci, der als Guiglielmo in der Oper „Cosi fan tutte“ singen sollte. Mozart tauschte es vor der Aufführung durch eine kürzere Arie; er fürchtete, die ausgedehnte Szene könnte den Handlungsablauf des ersten Aktes abbremsen. Ein typisches Beispiel für die Kompositionspraxis des 18. Jahr-hunderts sind Rezitativ und Arie „Cosi dunque tradisci“ KV 432. Der renommierte Bassist Karl Ludwig Fischer bat Mozart, ihm eine besonders eindrucksvolle Arie für die bevorstehende Wiener Aufführung von „Temistocle“, eine Oper des Komponisten Bernasconi, zu schreiben. Mozart schätzte den Sänger, dessen gewaltigen Baß er schon für Osmin in der „Entführung aus dem Serail“ eingesetzt hatte, und komponierte eine der opera seria von Bernasconi angepaßte, düstere f-Moll-Szene. Seine letzte Konzertarie für einen Baß „Per questa bella mano“ KV 612 schrieb Mozart für „Herrn Görl und Pirschlberger“, also den Sänger Franz Gerl, der wenig später sein Sarastro in der Zauberflöte werden sollte, und den Kontrabassisten Friedrich Pischlberger, der mit der anspruchsvollen Instrumentalpartie glänzen sollte. Eine Gefälligkeitsarbeit, den besonderen künstlerische Reiz mag Mozart in der Kombination der beiden dunklen Klangfarben gesehen haben. Über die Flexibilität des Komponisten gibt die Arie „Alcandro, lo confesso“ KV 512 Auskunft. Den Text aus Metastasios Libretto „L’Olimpiade“ hatte er fast zehn Jahre zuvor schon in einer Arie für die Sopranistin Aloysia Weber, seine damalige Angebetete und spätere Schwägerin, verwendet. Nun vertonte er ihn als dramatische Baßarie, wiederum für Karl Ludwig Fischer. Kurz zuvor war der Sänger aus dem Wiener Ensemble entlassen worden, nun brauchte er Paradestücke, mit denen er sich bei Konzerten profilieren und sich neuen Auftraggebern empfehlen konnte. Die scharfen Kontraste in Tempo, Harmonik und Rhythmik, die in der früheren Vertonung für Sopran fehlen, sind ganz den speziellen Wünschen und Bedürfnissen des Interpreten und Auftraggeber geschuldet.

© 1999 Christiane Krautscheid / Albiez (Erstabdruck: Programmheft der Berliner Philharmoniker Nr. 25, 02.06.1999)