Frank McCourt: Tag und Nacht und auch im Sommer

Lehrer, Spinner, Storyteller

Oje, ein Lehrer erzählt aus seinem Leben – eine neue Jammer- und Klageschrift? Ganz im Gegenteil. Erzähler dieses Romans ist ein High School Lehrers, der nach dreißig Berufsjahren eher dankbar als frustriert auf die Helden seines Lebens zurückblickt: seine Schüler. Über zwölftausend junge Menschen hat er unterrichtet, von allen Kontinenten dieser Erde, aller Religionen und Hautfarben, aufsässige, eifrige und unerreichbare, solche, die ihn hassten und solche, die ihn mochten, an den schlechtesten und den besten Schulen New Yorks. Drastisch und ironisch schildert er seine Niederlagen und kleinen Triumphe im Klassenzimmer, erzählt von unausstehlichen Schülern und noch unausstehlicheren Eltern, von selbst verfassten Entschuldigungen, Pausenbrotgeschossen, verliebten Teenagern, Prügeleien und all den Abmahnungen, die ihm die Rektoren in dreißig Jahren Laufbahn als Quittung für unkonventionelle Lehrmethoden verpasst haben.

Kein Zweifel, der Mann muss ein miserabler Lehrer gewesen sein. Wann immer er vor der Klasse mit  der englischen Grammatik scheitert, rettet er sich in das Erzählen von Geschichten. Bald bemerkt er, dass auch der rüpelhafteste Schüler sich davon fesseln lässt. So erzählt er von seiner ärmlichen Kindheit im strengkatholischen Irland, der misslungenen Ehe und seiner Flucht in die Pubs, der Zeit als Hafenarbeiter, sogar von peinlichen erotischen Abenteuern. Und damit wären wir auch schon beim genialen Kunstgriff dieses Romans: Indem der Erzähler sein Leben vor den Schülern ausbreitet, erzählt er es uns, seinen Lesern. McCourts neuer Roman ist nichts anderes als der dritte Teil seiner Autobiographie, in dem wir all das nachgereicht bekommen, was er in den ersten beiden Romanen (Die Asche meiner Mutter, 1996, Ein rundherum tolles Land, 2001) verschwiegen hatte. Im Plauderton, mal naiv, mal lakonisch, immer lebendig verwebt er die Stationen seines Lebens geschickt mit den Schilderungen des Schulalltags in New York.

Mit diesem Roman beantwortet McCourt die Frage nach der Herkunft seines großen Könnens. Ganz einfach: Zwölftausend Schüler waren die strengsten Richter seiner Erzählkunst. Was sie fesselte, kann Leser nicht langweilen. So machten ihn unflätige Pubertierende zu jenem grandiosen Geschichtenerzähler, der als Pensionär seinen ersten Roman schrieb und mit diesem aus dem Stand den Pulitzerpreis gewann. Freimütig gibt McCourt zu, dass nur einer in den drei Jahrzehnten seines Lehrerdasein wirklich etwas gelernt hat: Er selbst.

© 2006 Christiane Krautscheid / Albiez (Erstabdruck Gate – Das Airport Magazin 45, Winter 2006/07)

Frank McCourt: Tag und Nacht und auch im Sommer – Erinnerungen. Luchterhand Literaturverlag, München 2006.