I.
Als sich der Vorhang am 6. August 1966 im Salzburger Festspielhaus nach über zweieinhalb Stunden Aufführung ohne Pause senkte, ließ Hans Werner Henzes neue Oper Die Bassariden das Publikum erschöpft und begeistert zurück. Dirigent Christoph von Dohnányi und das künstlerische Team um Regisseur Rudolf Sellner ernteten stürmischen Beifall. In den Jubel für den Komponisten mischten sich kaum Proteste, im Gegenteil: Es schien, als habe sich das Publikum von der unmittelbaren Emotionalität der Musik hypnotisieren lassen und die politischen Fragestellungen ebenso wie die formale Strenge dieser Oper in Symphonieform schlichtweg überhört.
Die Rezensenten der deutschen und internationalen Feuilletons schlossen sich dem Publikumsvotum weitgehend an und waren voll Bewunderung für die kompositorischen Mittel, die dem kaum vierzigjährigen Henze zur Verfügung standen: „Alles verschmilzt zur Einheit eines vollen und mächtigen Gesamtklanges, geprägt von der Persönlichkeit des Komponisten, dem in der Bewältigung dieses ebenso großartigen wie schrecklichen Stoffes die bisher stärkste Konzentration seiner schöpferischen Kräfte gelungen ist.“ (Tagesspiegel) Die wenigen kritischen Kommentare zur Musik warfen Henze nicht etwa die extreme Komplexität der Komposition vor, sondern, ganz im Gegenteil, unzeitgemäßen Klassizismus und Flucht in musikalischen Ästhetizismus (Die Zeit). Der F.A.Z.-Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt war keineswegs der Einzige, der halb ungläubig, halb hingerissen in Henze einen neuen Richard Strauss zu erblicken glaubte.
Bei Henze aber löste die uneingeschränkt affirmative Aufnahme durch das konservative Salzburger Publikum und vor allem der Vergleich mit Richard Strauss nur eines aus: Verstörung. Und das tiefe Gefühl, nicht verstanden zu werden. Einige Jahre zuvor hatte Henze der Bundesrepublik und ihrer Musikszene den Rücken gekehrt und war nach Italien übergesiedelt. Dem Rigorismus der Neuen Musik in Donaueschingen und Darmstadt hatte er aus tiefer Überzeugung nicht folgen wollen. Aber Hoffnungsträger eines restaurativen Neoklassizismus‘, ja „ersehnter Erbe von Richard Strauss“ und damit Liebling des konservativen Opernbetriebs wollte er erst recht nicht sein. Der Musikwissenschaftler Wolfram Schwinger beschrieb Henzes Erschrecken später so: „Fast alle haben seinerzeit Strauss als den Kronzeugen der Bassariden-Musik benannt. Die Komposition wurde geschlürft, genossen – ohne die Strenge ihrer sinfonischen Form und die artifizielle Bearbeitung ihres thematischen Materials zu begreifen. Das hat Henze sehr getroffen. Er war verwirrt, er kam sich schuldig vor.“ Und Henze bekannte, dass er dieses Lob als schreckliches Missverständnis empfunden habe: „Strauss ist einer der letzten, dessen Nachfolger ich sein möchte. Das war plötzlich so, als würde ich eingeladen, eine Rolle zu spielen, eine restaurative, die mich doch überhaupt nicht interessierte und interessiert.“
Nicht nur gegen die Bewunderer des klangschön Sinnlichen der Musik glaubte Henze sein Stück in Schutz nehmen zu müssen. Sondern auch gegen die völlig unpolitische Lesart der Bassariden: „Dieses Stück ist eine Tragödie, eine Trauersinfonie, ein Requiem, das mit einem Gloria endet. Es geht um die Wahrheit, die ist ernst, schwierig und grausam – und nicht kulinarisch“, sagte er 1966 in einem Gespräch. Zehn Jahre später präzisierte er, es sei ihm in den Bassariden gerade um gesellschaftliche bzw. politische Antipoden gegangen: „Ungeheuer modern und uns angehend und eigentlich auch die Jahre um 1968 angehend sind eben die Fragen: ‚Was ist Freiheit, was ist Unfreiheit? Was ist Repression, was ist Revolte, was ist Revolution?‘ “ Dass die Bassariden tatsächlich in ihrem Kern eine politisch-humanistische Parabel waren, grundiert vom persönlichen Erleben der Nazidiktatur und die Zuspitzung der 68er-Konflikte vorwegnehmend, hatte das berauschte Uraufführungspublikum nicht hören wollen oder können.
Aus der verwirrenden Wirkung seiner Oper zog Henze Konsequenzen: Die Bassariden wurden zum Wendepunkt in seinem Schaffen, hin zu einem eindeutigen Bekenntnis zur Kunst als Ort politischer Stellungnahme und hin zum Engagement für die Ideale von Humanismus und Gerechtigkeit. Sowohl in der persönlichen Lebensplanung als auch in der künstlerischen Produktion radikalisierte er seine Positionen; er reiste zu einem mehrmonatigen Aufenthalt nach Kuba und solidarisierte sich mit der internationalen Studentenbewegung. Als nächstes musikalisches Großwerk komponierte er 1968 mit dem Oratorium Das Floß der Medusa eine unmissverständliche confessio zum politischen Künstlertum und zur Humanität, 1969 folgte die Sinfonia N.6, 1970 El Cimarrón. Und in seinem Aufsatz Musik als Akt der Verzweiflung sagte er 1968: „Wo immer Kunst noch sich positivistisch geben will, verhält sie sich als lügenhaftes Abziehbild von Kultur.“
II.
Bejubelt, verpönt, wieder entdeckt: Es gibt kaum eine andere Oper der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, deren Rezeptionsgeschichte so spannend, von schicksalhaften Einflüssen bestimmt, vor allem aber von so hoher Aussagekraft über die geistige Verfassung der Bundesrepublik in den vergangenen vierzig Jahren ist. Doch schauen wir zunächst noch einmal zurück auf die Rezeption der Uraufführung. Schon in den ersten Kritiken wurde die Frage nach der Repertoirefähigkeit der Bassariden gestellt. Die Skeptiker bezogen sich hauptsächlich auf das ohne Kenntnis der Vorgeschichte kaum verständliche Libretto mit seinen „mythologischen Schrotladungen“ (Stuckenschmidt). In Verbindung mit der riesigen Besetzung, der kompositorischen Komplexität und den Ausmaßen von zweieinhalb Stunden ohne Pause wurde bezweifelt, dass einem derart ambitionierten Werk dauerhaftes Fortleben auf der Bühne beschieden sein könne. Die Salzburger Nachrichten fragten: „Haben die ‚Bassariden‘ von Hans Werner Henze bei ihrer Uraufführung Erfolg gehabt und, wenn ja, welche Chancen bestehen dafür, dass dieser Erfolg dem neuen Werk auch weiterhin treu bleiben wird?“ Zwei Aspekte, so meinte der Rezensent, stünden dem entgegen: „Erstens: Ein Opernwerk, das vom Zuhörer ein hohes Maß an ständiger, intensiver Konzentration verlangt und eine pausenlose Spieldauer von zweieinhalb Stunden – also wesentlich länger als ‚Elektra‘ oder ‚Salome‘ – aufweist, ist ein Nonsens. Zweitens: Das mit Allegorien, Symbolismen weit überfrachtete Libretto wird weitestgehend unverständlich bleiben.“
Nach der deutschen Erstaufführung in Berlin (die Salzburger Uraufführung war eine Gemeinschaftsproduktion mit der Deutschen Oper Berlin), die vom Publikum noch enthusiastischer gefeiert wurde als die Uraufführung, wurde die Frage nach der Repertoirefähigkeit wiederholt. Die Süddeutsche Zeitung meinte: „Die Tatsache, dass nur die größten und mit den reichsten Mitteln ausgestatteten Theater das Werk aufführen können, wird Henzes ‚Bassariden‘ zu einer Rarität im Repertoire der Opernbühnen werden lassen.“
Doch zunächst stießen Die Bassariden auf reges Interesse ausländischer Opernhäuser. Die Mailänder Aufführung zeigte 1968, dass sich auch die neue Heimat des Komponisten für das anspruchsvolle Bühnenwerk begeistern ließ. Wichtige Protagonisten der Salzburger und der Berliner Produktion waren wieder dabei: Loren Driscoll als Dionysos, Kostas Paskalis als Pentheus und Kerstin Meyer als Agaue, diesmal unter der Stabführung von Nino Sanzogno. Die exzellente Übersetzung des Librettos durch Fedele D’Amico ins Italienische trug ebenso zur positiven Aufnahme des Stücks durch das Mailänder Publikum bei wie die zwar unkünstlerische, aber annehmliche Pausenregelung, die die Scala durchsetzte: Das viersätzige Werk wurde durch zwei Pausen in drei „Akte“ geteilt.
Im gleichen Sommer sollte in Santa Fe die amerikanische Erstaufführung stattfinden. Aber das Amphitheater, das bereits Henzes Boulevard Solitude als erstes Opernhaus in Amerika gezeigt hatte, war im Jahr zuvor bis auf die Grundmauern abgebrannt. Für den Kritiker der New York Times, Harold C. Schonberg, grenzt es an ein Wunder, dass in knapp neun Monaten pünktlich zur Premiere der Bassariden ein neues, architektonisch spektakuläres Theater mit verbesserter Akustik und moderner Bühnentechnik fertig gestellt war. Hier wurde die Oper Henzes, den Schonberg als „the hottest opera composer since Benjamin Britten“ bezeichnete, erstmals in der englischen Originalsprache gespielt. Henze dirigierte die Aufführungen selbst und entschied sich, das Intermezzo Das Urteil der Kalliope wegzulassen, wodurch die Handlung gestrafft und die Oper um zwanzig Minuten kürzer wurde. Von 1992 an betrachtete der Komponist diese Fassung als allein gültige.
Es folgten Produktionen in Los Angeles (1969) und London (1974). In London übernahm der Komponist nicht nur die musikalische Leitung, sondern inszenierte sein Stück auch selbst. Dieses Mal war es kein Brand, der die Aufführung gefährdete, sondern ein Streik der Bühnenarbeiter, der zufällig mit der Proben- und Aufführungsphase der Bassariden zusammenfiel. Die Welt berichtete am 11. November 1974: „Die English National Opera in London hat wegen eines Arbeitskonflikts mit dem technischen Bühnenpersonal bis auf weiteres alle Vorstellungen abgesagt. Nachdem die Intendanz am Dienstag 46 Bühnentechniker entlassen hatte, weil sie eine Aufführung von Henzes Oper ‚Die Bassariden‘ boykottierten, erklärten sich die übrigen 80 Techniker und Bühnenarbeiter mit ihren entlassenen Kollegen solidarisch.“ Trotzdem konnte das Londoner Publikum die Antikenoper schließlich auf der Bühne erleben, und zwar mitsamt des Intermezzos, das Henze neu instrumentierte: Um das Satyrspiel deutlicher von der umgebenden Musik abzusetzen, reduzierte Henze die Besetzung auf nur zwei Instrumente, Cembalo und Mandoline. Erstmals – acht Jahre nach der Uraufführung und um die Erfahrung der internationalen Studenten- und Bürgerproteste reicher – betonten und würdigten einige Kritiker den starken Bezug der Bassariden zur Gegenwart ebenso wie den humanistisch-politischen Gehalt des Stückes.
III.
In Deutschland hingegen behielten jene skeptischen Stimmen Recht, die dem Werk die Repertoirefähigkeit abgesprochen hatten. Lag das an den spieltechnischen Anforderungen, der Länge oder der benötigten Orchester- und Chorstärke? Ganz sicher nicht, denn ausländischen Bühnen bereitete das Stück offensichtlich keine Schwierigkeiten. Es müssen äußere, nicht werkimmanente Gründe hinzugekommen sein, warum die Bassariden nicht gespielt wurden. Ein Blick auf die Aufführungszahlen von Henzes Werken gibt die Antwort: Ab etwa 1966 ist speziell in Deutschland ein rapider Rückgang zu verzeichnen, der Henzes gesamtes Werk betraf. Offensichtlich richtete sich die Ablehnung gegen die Person des Komponisten selbst. Auslöser war eindeutig Henzes als „Radikalisierung“ verstandenes politisches Engagement, das von dieser Zeit an offen in Aufsätzen und Interviews zu Tage trat. Es führte dazu, dass seine Person und damit seine Musik von großen Teilen des konservativen deutschen Musikbetriebes ignoriert, von manchen sogar explizit abgelehnt wurden. Heute ist das schwer nachzuvollziehen. Doch dem „Hoffnungsträger“ mochte man nicht verzeihen, dass er nicht nur nach dem künstlerisch Schönen, sondern leidenschaftlich auch nach dem moralisch Wahren und Richtigen suchte und beides zu verbinden wünschte. Unter den generellen Bann fielen auch die Bassariden: zehn Jahre lang wurden sie mit konsequenter Nichtachtung gestraft und von keiner deutschen Bühne neu inszeniert. Erst im Jahr 1975 war an den Städtischen Bühnen Frankfurt eine Übernahme der English National Opera-Produktion aus dem Vorjahr zu sehen.
Ein deutsches Theater abseits der Metropolen, das Oldenburgische Staatstheater, bewies 1978, dass keineswegs nur die „größten und mit den reichsten Mitteln ausgestatteten Theater das Werk aufführen können“. Die F.A.Z. titelte begeistert: „Grandiose Mut- und Leistungsprobe einer kleinen Oper“. Sowohl musikalisch (unter der Leitung des jungen Generalmusikdirektors Wolfgang Schmid) als auch durch die psychologisierende, klar strukturierte Inszenierung von Hans Peter Lehmann überzeugte die Produktion ihr Publikum und die Kritik. Und dennoch: Ein weiteres Jahrzehnt, bis Ende der 80er Jahre fühlte sich keine andere deutsche Bühne zur Auseinandersetzung mit dem Stück ermutigt.
Die entscheidende Wende in der Rezeptionsgeschichte der Bassariden leitete eine konzertante Aufführung der Berliner Festwochen 1986 ein, die auf Initiative von Gerd Albrecht zustande gekommen war. In Zusammenarbeit mit dem RIAS und der Deutschen Oper erarbeiteten der Dirigent, Sänger wie Karan Armstrong, Kenneth Riegel, Andreas Schmidt und Robert Tear, das Radio-Symphonie-Orchester und die Chöre von RIAS und Süddeutschem Rundfunk eine überzeugende Interpretation, die, so Henze in seinen Erinnerungen, „mit einem Schlag den beklemmenden Bann von der Bassariden-Musik“ nahm. Henze hatte sich im Vorfeld gemeinsam mit Albrecht entschieden, auf das Intermezzo zu verzichten, und der auf diese Weise deutlich straffere Erzählfluss erleichterte die Rezeption erheblich. 1991 erschien diese exemplarische Produktion auf CD und schuf so eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung und das tiefere Verständnis des Werks.
Im Publikum de konzertanten Berliner Aufführung saß der Regisseur Götz Friedrich. Er erkannte sofort die Aktualität und Brisanz des Stückes und setzte alles daran, die Bassariden so schnell wie möglich auf einer großen deutschen Bühne neu zu inszenieren. Zusätzlich kamen die äußeren politischen Ereignisse dem Stück entscheidend zu Hilfe: jene Erosionen, die in vielen totalitär geführten Staaten, auch der DDR, schließlich zum Zusammenbruch des Systems führten.
Drei Jahre später, im Jahr der Maueröffnung, war es an der Stuttgarter Staatsoper soweit. Von welch ungeheurer Bedeutungskraft muss angesichts der „Abstimmung mit den Füßen“ durch die Bürger der DDR und anderer osteuropäischer Länder die Frage des Pentheus im ersten Satz „Hauptmann! Wo ist mein Volk?“ gewesen sein! Als hätten Henze und seine Librettisten diese Entwicklung bereits vor zwanzig Jahre vorausgeahnt. „Es ist frappierend“, so Friedrich im Programmheft, „wie das Werk heutigen Fragestellungen standhält oder sie aufgreift, auch und gerade, wo sie sich im gesellschaftlichen Raum neu auftun (…). Die Bassariden reagieren auf solche Befragung auf vielfältige Weise und können dies umso eher, weil sie auf mehreren Ebenen und in unterschiedlichen Schichtungen den alten Stoff des Euripides aufarbeiten und ihn heutiger Assoziationsbereitschaft anbieten.“ Die Stuttgarter Nachrichten schrieben: „Die Zeit heilt nicht nur Wunden; sie sorgt mit ihren nicht genau vorher bestimmbaren Entwicklungen auch dafür, dass Ideen, Überlegungen, Erscheinungen plötzlich wieder aktuell werden, die man längst abgehakt und eingeordnet oder als noch nicht reif angesehen hat. (…) Die Ereignisse in der DDR haben dazu beigetragen, Henzes Bassariden eine für Bühnenproduktionen ungewöhnliche tagespolitische Aktualität zuwachsen zu lassen.“
IV.
Tatsächlich löste sich mit der Stuttgarter Aufführung schlagartig der Bann, der auf der Oper lastete, und in den nächsten acht Jahren folgten allein in Deutschland vier Neuproduktionen (Duisburg 1991, Freiburg 1992, Hamburg 1994 und Dresden 1997, letztere auch als Gastspiel 1999 in Madrid). Im Jahr 2005 setzen gleich drei Opernhäuser die Bassariden auf den Spielplan: Paris, Köln und Amsterdam. Zum zweiten Mal seit ihrer Entstehung wurden die Bassariden Opfer eines Streiks: Die französische Erstaufführung am Théâtre du Châtelet geriet 2005 unglücklich in den Tarifstreit zwischen Radio France und der Berufsgruppe der Orchesterwarte. Dank des Engagements von Dirigent Kazushi Ono und seiner Korrepetitoren entstand innerhalb weniger Tage eine Fassung für 21 Instrumente (eben jene, die man bekommen konnte, darunter drei Klaviere, aber weder Bläser noch Streicher) anstelle der 90 Musiker umfassenden Originalbesetzung.
Über vierzig Jahre nach der Uraufführung ist Henzes Oper jetzt erstmals auf der Bühne der Münchner Staatsoper zu sehen. Im Jahr 1996 gab es anlässlich des 70. Geburtstages des Komponisten bereits eine konzertante Aufführung, doch ohne die szenische Darstellung fand das Münchner Publikum seinerzeit keinen rechten Zugang zum Werk und reagierte zwiespältig. Nun haben sich Dirigent Marc Albrecht und Regisseur Christof Loy entschlossen, Henzes opus magnum erstmals wieder in seiner originalen Gestalt, also mit dem Intermezzo Das Urteil der Kalliope in ursprünglicher Besetzung und ohne Unterbrechung durch eine Pause, aufzuführen. Auf diese Weise schlagen sie einen spannungsvollen Bogen zurück zur Uraufführung.
Heutige Opernbesucher, Musiker und Kritiker sind den Hörern der Uraufführung weit voraus: um vierzig Jahre Zeitgeschehen und vierzig Jahre Musikgeschichte. Im Jahr 1966 würdigte man zwar das hellsichtige Psychogramm der Handlung und die Sinnlichkeit der Musik. Doch ästhetisch und politisch mussten die Bassariden missverstanden werden. Ästhetisch wird erst in der Rückschau deutlich, dass die Oper in ihrer stilistischen Vielfalt, im Reichtum der Anspielungen und der Fülle von Traditionsbezügen eine erstaunliche Vorwegnahme der späteren Postmoderne war. Politisch können wir erst heute erkennen, dass Henze und seine Librettisten 1966 nicht nur die Diktatur der deutschen Vergangenheit reflektierten, sondern auch Aspekte der späteren Revolutionsbewegungen und des zwangsläufigen Zusammenbruchs autoritärer Systeme erahnte. Erst jetzt scheint der Zeitpunkt gekommen, an dem wir alle Aspekte dieses visionären Werkes wirklich würdigen können.
© 2008 Christiane Krautscheid / Albiez (Erstabdruck: Programmheft der Bayerischen Staatsoper, 19.05.2008)